Dienstag, Januar 29, 2008

let's get incredible.

encorencore ist fucking alive? Es ist anders als es scheint. Ja, ich wollte das Bloggen am liebsten sein lassen, weil ich ein immer größeres Problem damit habee, was ein Blog ist, oder mehr ncoh: wozu er benutzt und wie er wahrgenommen wird. Selbstdarstellung, Nachrichten aus der eigenen Nichtigkeit, Dinge, die keinen interessieren, aber doch den ein oder anderen ärgern. Informationsmüll. Kein Mensch braucht das. Schon gar nicht den Blogger aus Schuldbewusstsein, der meint, er müsse jeden Tag etwas innig-sinniges aus sich hinauszutzeln.

Nie wieder schreiben wollte ich, nachdem ich in einer letztjährigen Spex folgendes Zitat von Alfred Hildberg gelesen habe:

"Grundsätzlich ist diese virtuelle Welt ja begrüßenswert. Sie ist größer als alles, was wir bisher kannten, sie ist global, sie bietet Möglichkeiten, von denen ich vor zwanzig Jahren nur geträumt habe. Schaue ich mir aber an, welche Auswüchse die digitale Revolution mit sich gebracht hat, dann ist sie leider nur ein Spiegelbild dessen, was allgemein derzeit gesellschaftlich passiert. Ein Spiegelbild der tendenziell immer mehr um sich greifenden Individualisierung. Und die funktioniert nicht im Sinne einer Stärkung des Selbstbewusstseins, nicht in der Entfaltung individueller und kollektiver Möglichkeiten. Sie fördert die Vereinzelung, die Isolierung. Spätestens hier beginnt das Erschrecken. Denn die Artikulation von 99% der Menschen, die das Internet nutzen, ist ja die unbewusste Selbstdarstellung von Hilflosigkeit, von Isolation, von Unfähigkeit zur Kommunikation. Geschweige denn künstlerische Artikulation. Diese millionenfache Selbstdarstellung ist kaum erträgliches Mittelmaß, um es noch halbwegs positiv zu formulieren. Das ist kein Vorwurf an die Produzenten dieses Niveaus, es ist schlicht das Ergebnis der kulturellen, der gesellschaftlichen Nivellierung."

Und trotzdem mache ich weiter, nicht für dich und dich oder, wie es mancher Kommentar unter dem letzten Eintrag vermuten lassen könnte: als Ersatzhandlung; sondern für die handvoll Menschen, die es gerne lesen. Weil es die und mich entspannt. Und weil ich nur noch selten schreiben werde, nämlich dann, wenn es wirklich etwas zu schreiben gibt, wenn was raus muss.

So let's get incredible. Ich habe meine persönliche Aufgabe für das kommende Jahr gefunden. Sie hängt eng damit zusammen, dass ich mich gerade von dem Leben, das ich die letzten 10 Jahre oder so geführt habe, langsam verabschiede. Weil ich von Szenenmeierei und Pop-Sloganeering gerade so richtig genug habe. So vieles von dem was sich in dieser kleinen Subkultur abspielt, verpufft auch genau da. Ob Band X nun in Y oder Z spielt, ist eigentlich nebensächlich. Ob sie Message A, B oder C vertritt ist nur für die Kategorisierung wichtig, und von Akkordfolgen bis zu Artworkgeschichten ist einfach mal im schlechtesten Fall - der Norm - alles genormt und Standarts angepasst.

Und es ist ja auch eine Crux: Natürlich will jede Band mal sowas einleuchtendes wie Fugazi's "Merchandise" schreiben. Aber Fugazi gibt es eben schon, genau wie es auch nur eine Tragedy braucht, jede weitere Crust-Band ist nichts anderes als Entertainment, Leben im Überfluss. Popzirkus eben, gute Unterhaltung, aber ernstnehmen kann ich das nicht, nur weil es ein wenig mehr Niveau als DSDSS und ein bisschen mehr Moral als die große Koalition hat.

Ian Svenonius' letztjähriges Buch "The Psychic Soviet" hat das für mich ganz gut auf den Punkt gebracht: Rock'n'Roll mit seinem "I want it all and I want it now"-Gestus ist so etwas wie der Gipfel des popkulturellen Kapitalismus. Leider habe ich das Buch gerade nicht zur Hand; darin steht aber auch manch anderes schlüssiges, etwa wie sich jede/r durch Szenenzugehörogkeit ncoh weiter und weiter einreiht ins Marktsegment.
Immer wieder kommt dabei seine Rede auf etwas, das all dem entgegensteht: Volksmusik. Traditionals. Folklore. Lieder, die von Mund zu Mund gehen, die außerhalb des Marktes stehen. Und dabei einen kulturellen Konsens verbreiten, eine Geschichte erzählen. Das klingt erstmal nach Jungschar, Volkstum und Mittelalter, ist es aber auf den zweiten Blick nicht. Folklore hat seit jeher mit Protest zu tun. Und greift auf einen Schatz an gemeinsamem Kulturgut zurück. Und genau das kann ja auch nationsunabhängig stattfinden. Globalisierung hat auch diese Facette.

Der Blue Ribbon Glee Club hat einen solchen Ansatz, sicherlich unabhängig von Svenonious, zu Ende gedacht, denn eigentlich ist es ja ganz einfach. Hinter dem Namen versteckt sich ein 30-köpfiger Chor, der seine ganz eigenen Traditionals bastelt und etwa "Waiting Room" oder Black Flag's "TV Party" in A-Capella-Versionen darbietet.
Das Schöne ist, dass es dabei nicht um Geld geht, nichtmal um Kostendeckung. Man braucht ja nichtmal Strom. Kann sich einfach irgendwo hinstellen und anfangen. Szenegrenzen werden ganz natürlich überschritten und nebenbei kann auch noch ganz galant in den öffentlichen Raum eingegriffen werden, genauso wie auch Band-/Publikumsgrenzen aufgehoben werden. Gendertechnisch ist es auch recht okay, weil man Männer- wie Frauenstimmen braucht. Und wie zufällig hält sich im Chor wie auch bei den Darbietungen sowohl Gewalt als auch übertriebener Narzissmus sehr in Grenzen: es geht darum, etas zusammen zu machen, endlich.

Das klingt so fantastisch, das will ich auch. Wie wäre das denn, "Bullenschweine" im Vokalensemble? "Sound System" aus 30 Kehlen? Tambourins und Tubas?

Also: Suche ca. 20 Menschen zur Gründung eines Chors. Bitte melden. Jetzt.

Mittwoch, Januar 09, 2008

teil III: vision of repair.

03.01. - 06.01.08: here comes conclusion herzt telemark

Stau. Eisregen. Normaler Regen. Stau. Schneeregen. Gute Pommes mit schlechter Pommessauce an der Autobahnraststätte. Fünfzig Anrufe aus Esslingen, von Max, von Jörg, wann wir kommen, in welcher Reihenfolge die Bands spielen, und überhaupt.
Ich glaube, wir schlagen gegen sieben oder halb acht auf, als letzte Band. Als erstes eine Zigarette, als zweites die Nachricht, dass ich im Vorfeld alles falsch verstanden habe und wir die Backline für alle anderen Bands stellen müssen. Das ist so ein Gefühl, das ist so anders, als über die Dummheit der anderen zu schimpfen, gegen die man nichts machen kann, gegen die man sich mit einem Gefühl der Überlegenheit bei gleichzeitiger Wehrlosigkeit zufrieden stemmt. Da kann man sich zurücklehnen und lachen. Nein. Das ist ein Gefühl, dass man selbst die große Volldrossel ist, die allen anderen Stress macht, über die sich alle zurecht aufregen. Ein unangenehmes Gefühl.

Zum Glück verfliegt das aber erstmal, weil Esslingen trotz allem Stress, der bei der Koordination von sechs Bands auftritt, auch sehr schnell sehr familiär wird. Wir haben hier in den letzten drei Jahren dreimal gespielt, Falte, Jörg und Alex gehören beinahe schon zur Band; zu allem Überfluß sind noch genug andere bekannte und lächelnde Gesichter anwesend: Urte und ihr Mann aus Berlin, Frank, der mit Proceed On... ebenfalls heute spielt, Oise, der bei Red Tape Parade dabei ist und sich tierisch freut, dass Mano bei uns Schlagzeug spielt, genau der Mano, den er das letzte Mal vor einer halben Ewigkeit als Singer/Songwriter gesehen und als Übernachtungsgast aufgenommen hatte. Jobst ist auch da, Mönster spielen ja heute abend auch, Jobst, den ich von Grund auf mag, auch wenn wir uns einfach nichts zu sagen haben. Viele andere Augenpaare, Haaransätze, Köpfe, die mir aus irgendwelchen Erinnerungen entgegendämmern, bei denen ich mich frage: Geht es dir gut? Hast du früher auch schon eine so laute Fassade gehabt? Eine Type betritt den Backstage, unüberhörbar, erzählt einen kurz-bündigen Quatsch, damit alle merken: er ist hier, setzt sich dann mitten rein, zwischen uns fünfzehn andere, und tut so, als würde er lesen.

Obwohl das Programm recht ausgewogen ist -schließlich spielt eigentlich keine Band lupenreinen Hardcore, und die die es tun, können trotzdem über den Brillenrand blicken- nun, auch entgegen guter Vorzeichen werde ich das Gefühl nicht los, fehl am Platz zu sein. Vielleicht liegt es daran, dass wir als letztes angekommen sind, vielleicht daran, dass sich in dem riesigen Backstage jede Band wie eine Reihe von Kriegern in einer Ecke separiert, jedenfalls kommt mir plötzlich diese Zeile aus einem Walter Schreifels-Interview, der dort erzählte, während einer Tour, auf der Quicksand jeden Abend mit Offspring und Guttermouth spielten, sie sich manchmal wie Pink Floyd fühlen. Der Sänger von Red Tape Parade, die nach uns spielen, wird mir dieses Gefühl bestätigen, als er von der Bühne herunter sagt, dass die Indiedisco jetzt vorbei wäre, jetzt gibts Punkrock, und dann stürmt er ins Publikum und reißt völlig übertrieben an den Leuten herum, wirkt wie die verbitterte, betrunkene Version von Iorek Byrnison. Ich weiß, das ist gemein, aber Hardcore ist kein Kindergarten und so sehr mir das Red Tape Parade-Demo gefällt, so wenig verstehe ich, wie die von der Band extrem promotete Pro-Gay-Attitüde mit so einem Bollo-Getue zusammenpassen will. Wir sind schließlich auch gegen Homophobie, aber müssen das niemandem ins Gesicht schreien. Und wenn ich das zum Ausdruck bringen will, dann spiele ich noch lieber in Strapsen, als einen auf maskulines Monster zu machen. Aber vielleicht habe ich es auch nur einfach nicht verstanden, ich habe auch nicht nachgefragt.

Das Anderssein traf sich auch am Merchandise-Stand, an dem jede Menge Bands jede Menge Shirts und Platten und Zeug hängenliegen hatten. Telemark haben diesmal den Merchkoffer gar nicht aus dem Auto geholt, Mano zieht als erstes seine Mütze vom Kopf, schneidet einen Here Comes Conclusion-Aufkleber aus, klebt ihn drauf, hängt die Mütze an die Wand und sagt: "So, fertig. Unser Merchandise."

Damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Das war ein fantastischer Abend. Nicht zuletzt, weil ich beim Spielen wegen zu wenig und zu viel von allem so angepisst war, dass ich mir selbst auf den Kopf gespuckt habe und beinah vor Freude geschrien hätte, als Nils bei einem Song so hart auf den Bühnenboden stampfte, dass es durch Mark und Bein ging, Carsten und ich uns im selben Moment ansahen und klar war: gerade ist alles in Ordnung.
Nicht nur deswegen.
Auch die Bands waren toll. Ghostchant aus München fand ich sehr sympathisch und energiegeladen, auch wenn die Musik nicht ganz meine Tasse Screamo war: Ich habe selten eine Band gesehen, die so viel gelächelt hat und dabei so tight war. Die hatten einfach richtig Bock zu spielen. Proceed On... hab ich zum ersten Mal seit ganz langer Zeit wieder gesehen, und die werden immer immer besser, auch wenn Frank krank war; langsam sind sie da angekommen, wo sie eigentlich nur noch alles richtigmachen. Mönster fand ich dieses Mal eher durchschnittlich, recht routiniert heruntergerotzt, ein Shirt hab ich mir trotzdem gekauft. Telemark waren selbstverständlich auch eine Superlative für sich.

Trotzdem war zu vieles an dem Abend mit zu vielen logischen Widerhaken versehen.

Warum müssen Hardcore-Bands immer in diesen Uniformen aus den richtigen Tattoos, den richtigen Shirts und dem ironiefreien Sound auftreten? Ich mag ja Crustpunk, aber wenn man schon ein Run DMC-Shirt trägt, warum dann nicht auch offen mit solchen Einflüssen spielen?
Warum meinen manche Menschen, immer noch von solchen Konzerten leben zu müssen? Es waren 80 Zahlende da, an diesem Abend. Da war klar, dass keine Band dabei gut wegkommt, genauso wenig wie die Veranstalter. Trotzdem muss eine Band auf fast doppelt so viel Geld als die anderen Bands bestehen, weil einer von ihnen gerade von der Band leben muss. Tolles Argument. Das stell ich mir verdammt schwierig vor, das ist fast so absurd, als würde ich dafür bezahlt werden wollen, nachts Wände zu besprühen.
Immer reden alle davon, dass Religion oder Sexismus nichts in linker Kultur verloren hätten; aber wie absurd ist es denn, von so kompromissfreier Musik leben zu wollen? Wenn es hier mal ganz ehrlich zugehen würde, dann ist jeder doch eigentlich froh, wenn wenigstens die Kostendeckung funktioniert, schließlich ist niemand von uns Dieter Bohlen, und ich für meinen Teil bin auch sehr glücklich darüber.
Und es wird immer knapper mit allem; wenn es einen Grundtenor von jedem Vernstalter, von jeder Band in diesen Tagen gab, dann den, dass es eher weniger als mehr Besucher werden; warum also nicht alle ein klein bisschen mehr zusammenrücken, und die Ellbögen den Stadienrockbands mit Schulterpolstern in den Blazern überlassen?

Ach, eigentlich will ich das alles gar nicht schreiben; es war ein toller Abend, ein gutes Ende für drei Tage mit Telemark. Und ich habe mir schließlich jede andere Band fast komplett angesehen, das mache ich auch nicht oft - und will gar nicht wissen, wie unfreundlich wir selbst rübergekommen sind, in unserer Ecke des Rings.

Das war es also fast; die Nacht über noch einem eindrucksvollen Schnarchkonzert des Telemark-Chors gelauscht (Rauchen verstopfen Nase), am liebsten hätte ich Nille neben mir gelöffelt, weil er so unmöglich ruhig war und da so klein und unbeweglich unter seiner Decke lag. Sonntagmorgen und -mittag noch stundenlang mit Alex, Falte, Jörg über die großen und kleinen Probleme unserer Leben gefachsimpelt. Der beste Vorschlag: als Veranstalter einfach mal einen Zettel aushängen, wo die Kosten bei so einem Konzertabend hängen; vielleicht kann man so den Gästen begreiflich machen, dass acht Euro für sechs Bands kein Wucher ist.
Kurz vor dieser zündenden Idee sind Telemark gen Duisburg gefahren. Klar gabs ein Abschiedsfoto.
v. l. n. r.: Björn, Bock, Walla, Casi, Mano, Max, Nils, unbekannter Beobachter.

Und was bleibt? Was war die Ausgangsfrage, vor zwei Tagen und zuvor? Wofür das alles...?!
Genau. Dafür. Nicht für die blöde halbe Stunde spielen oder die achthundert Stunden Fahrt, nicht für das bisschen rausgeschmissene Geld oder das Freibier. Doch, eigentlich auch für das alles. Vielmehr aber noch: Für das Gefühl, nicht alleine zu sein. Eine Vision mit anderen zu teilen, mit wenigen anderen: ein Leben führen, das konträr zu dem ganzen täglichen Quatsch läuft, und genau deswegen eigentlich gar nicht geht. Unmögliches zu tun.
Ich habe etwa Carsten sehr oft beobachtet, in diesen Tagen. Egal, neben wem er stand, hat er das Reden begonnen, genauso schnell hat man mit ihm geredet. Egal, wo er sich aufgehalten hat, war eine Atmosphäre von Freundschaft und von Nähe, da aht was geleuchtet. Auf der Rückfahrt von einem anderen Konzert hat er mal zu mir gemeint "Seppo, ich kann es nicht so recht ausdrücken, aber wir wissen alle, dass wir im Falschen leben, und dass man im Flaschen nichts richtig machen kann; man kann aber auch nichts falsch machen."

Dienstag, Januar 08, 2008

teil II: today we become the enemy.

03.01. - 06.01.08: here comes conclusion herzt telemark

Das glamouröse Leben im Tourbus sieht genau so aus:
Aber. Zuvor gab es erst einmal Aufwachen und Frühstücken in der Maison Telemark. Für Here Comes Conclusion gab es Brötchen, Käse und Aufstriche, Telemark machten weiter mit ihrer Zigaretten-Diät. Zwei vor dem Essen, dann ein Schnitzel, dann eine nach dem Essen. Während ich das schreibe, bekomme ich unglaubliche Lust auf eine Kippe, ehrlich.
An diesem Morgen hielt ich mich aber dank fehlender Stimme und aufgeplatzten Lippen freundlich zurück, habe lieber wieder ein bisschen in den Bücherregalen gestöbert und dabei Peter Bursch's Anleitung zum richtigen Spielen der Metalgitarre gefunden. Gibt es eigentlich irgendjemanden, der/die nicht mit Peter Bursch ein Saiteninstrument gelernt hat? Ich habe damals Wandergitarre mit Peter gelernt, bis zum ersten Barrégriff; als ich da bemerkte, dass man den Griff nur verschieben muss, war es um meine musikalische Erziehung geschehen und ich habe angefangen, wochenweise Punkalben runterzuschrauben.

Frühnachmittags brechen wir auf, nach Göttingen. Die Ingwerteebatterie wird wieder vollgemacht. Nach ungefähr viereinhalb Stunden, zeitgleich mit dem Anbruch der Dunkelheit, kommen wir in Göttingen an. Ich kenne Göttingen nur aus den wenigen Erzählungen einer guten Freundin, hatte es mir aber im Geiste keinen Moment anders vorgestellt. Viel Fachwerk, regennasser Teer, schon beim Einfahren in die Stadt wird der Atem langsamer. Eine bestimmte Art von Ordnung, die niemand bestimmtes befiehlt und die jeder befolgt. Früher hätte ich das nicht ausgehalten, heute strahlt es eine besondere Ruhe auf mich aus.
Das Juzi steht an und für sich im Gegensatz dazu, klar. Bunt, autonom (und aus irgendeinem Grunde genau neben der SPD-Zentrale); aber auch einfach schön gemacht, man merkt, dass da viele Jahre (über 25) an Arbeit und Planung und Plenen und Agitation dahinterstecken. Das tut gut, als notwendiger Ausgleich zu Fachwerk und Göttinger Bratwurst wie zu kommerziellen Läden wie dem Tsunami in Köln. Hier passiert mehr als nur Musik; alles andere ist Pop und wir hassen Pop - spätestens nach dieser Tour.

Kurz nach Ankunft treffen wir auf Benni, der das Konzert für uns organisiert hat und er und ich müssen lachen, da wir beide das selbe Hemd tragen. Je länger der Abend, desto frappierender werden gewisse Gemeinsamkeiten. Selbes Schuhwerk, selbe Gegenstände in den selben Taschen, ja, sogar die Kaugummis sind die selben. Vom unzweifelhaften Musikgeschmack ganz abgesehen. Schließlich spielt Benni ja auch noch bei 244 gl, deren neue Platte er uns mitgibt und die hier seit zwei Tagen auf Dauerrotation ist. Ich hasse Metal, aber ich liebe 244 gl, und für Songtitel wie "we saw the dirt but meta metal saved our lives" oder "ich bin champagner und du bist scheisse" könnte ich ihnen die Füße küssen oder mindestens genau so herumlaufen wie deren extrem gut gekleideter Basser:
Abgesehen von solchen Zufällen hat sich Göttingen in mehrerer Hinsicht ein bisschen wie Heimat angefühlt. Ein paar alte Gesichter und Bekannte gesichtet, oftmals reicht es nur für kurze Gespräche, kleine Stellungnahmen zur Gesamtsituation, trotzdem bleibt dabei viel mehr hängen. Wir stellen alle gemeinsam fest, dass es immer schwieriger wird, Leute davon zu überzeugen, auf ein Livekonzert zu gehen, auch wenn es nur 5 Euro kostet. Das ist einfach nichts mehr wert, sogar das Unter-Wert-Verkaufen. Vielleicht muss man erst behaupten, Stadienrock zu machen, damit das alles wieder irgendwen interessiert. Walla scherzt kurz, dass man ja auch nur noch youtube-Konzerte machen könnte, live aus dem Proberaum, bei allem Lächeln stimmt es uns doch nachdenklich. Als wären wir plötzlich die Dinosaurier.
Ungefähr 50 Leute tauchen auf, wir freuen uns sehr, spielen gelöst, vielleicht ein bisschen zu aufgedreht --nicht weiter verwunderlich nach dem lauwarmen Köln-Gig. Bei Telemark sitze ich größtenteils vor dem Konzertsaal, schaue mir die Menschen an, vertrage gerade keine Lautstärke. Wieder tut sich kurz die Frage auf, warum man das alles tut, die Erinnerungsfrage, das Erkennunsgzeichen, Shibboleth. Neben mir liegen ein paar unserer Mini-CDs, natürlich stelle ich mich nirgendwo hin, um die zu verkaufen. Wir sind keine Geschäftsmänner, wir tun das aus irgendeinem anderen Grund, und deswegen bin ich gerade hier, auf einer Holztreppe, in Göttingen, Niedersachsen, um diesen Grund zu suchen und zu erinnern.

Nach dem Konzert kommen vereinzelt Menschen angetropft und fragen nach Hörbarem. Das freut uns und fühlt sich besser an, als einen Merch-Table zu haben. Telemark sind da ja noch radikaler als wir: Haben zwei Platten raus und besitzen sogar Shirts, packen das alles aber nie aus. Irgendwas ist hier anders, und das ist auch gut so.
Nach weiteren endlosen Schwätzchen, in denen sich herauskristallisiert, dass irgendwie jede/r viel zu viel Mist um die Ohren und zu wenig Zeit für das gute Leben hat, werden wir von einem Typ namens Volker zu unserem Nachtlager in die Rote Strasse geleitet, die aus einem riesigen, linken WG-Block besteht. Mitten in der Fachwerksinnenstadt. Das ist so viel größer, hier, als irgendwo anders. Ich verliebe mich noch mehr in Göttingen.
Erst kurze Zeit später fällt mir auf, dass ich Volker schonmal irgendwo gesehen habe und er erzählt, dass er früher mal bei El Mariachi gespielt hat, die für mich eines der besten und intensivsten Live-Konzerte gespielt haben, vor ein paar Jahren im KV Nürnberg. Ich bin schon zu betrunken, um ihm mehr zu sagen, als dass ich das damals großartig fand, danach gehe ich aufs Klo und erschrecke, weil in dem Einquadratmeter-Klo eine Dreikubikmeter-Lampe hängt, die einen charmant dazu zwingt, sich gefälligst hinzusetzen. Einer aus unserer illustren Runde wird es trotzdem schaffen, dabei zu stehen.

Danach sitzen wir noch lange in der Küche, ich verabschiede mich irgendwann und lege mich im Matratzenzimmer auf die ganz große Matratze, ganz weit hinten, die auf einer Empore liegt, und drücke mich klein in eine Ecke; ich tue dies aus Höflichkeit, da ich mir denke, dass ich dann nicht vorne im Weg liege und alle anderen aufrutschen können. Als Mano als einer der letzten morgens gegen sieben ins Bett kriecht, merke ich, dass ich immer noch alleine liege, dass mir saukalt ist und ich dringend pinkeln müsste, aber den ganzen Raum notwendigerweise aufwecken würde, während ich von der Empore springe. Ich beiße die Zähne zusammen, zähle Nierensteine und schlafe wieder ein.

Gegen zehn Uhr steht Hasi Redmann auf und öffnet sofort ein Fenster; traditionell ist das der Moment, in dem ich ebenfalls senkrecht im Bett stehe. In einer Stunde wollen wir schon los, nach Esslingen brauchen wir geschätzte sieben Stunden. Mehr, als ich heute und gestern zusammen an Schlaf hatte. Ich stolpere in Richtung Dusche, die Carsten allerdings gerade schon besetzt. Irgendwann später stehen wir nackt vor dem Badspiegel und putzen Zähne, als würden wir das jeden Morgen machen. Während wir im Laufe dieser drei Tage -wir sind das erste Mal seit einem Jahr so lange unterwegs- endlich wieder von einer Band zur Familie wachsen, bekommen wir beide das selbe Gefühl: es scheint, als würde gerade irgend etwas anderes zu Ende gehen.

Ein paar Umarmungen später rollen wir raus aus Göttingen, zeitgleich mit Telemark, deren Kombi inzwischen wieder fit ist; gestern abend noch hat sich die Zentralverriegelung gegen sie verschworen und das Beladen wie das Einsteigen war nur noch über den Kofferrraum möglich.
Auf der Fahrt nach Esslingen verliere ich nach ungefähr sechs Stunden ein wenig meine Contenance. Ich will rauchen, ich will Wärme, ich will schlafen oer zumindest das nächste Bier. Das ist aber noch Stunden entfernt, in diesem Blog wird es wohl noch bis morgen dauern.

Montag, Januar 07, 2008

teil I: alles klar auf der andrea doria.

03.01. - 06.01.08: here comes conclusion herzt telemark

Vor mir die Wand aus Rucksäcken. Aus dem lehmgrauen Armeerucksack lugt eine kleine Thermoskanne hervor. Eine von vieren, die hier verteilt sind. Unsere Batterie aus Ingwertee.
Es ist kalt, klamm, Rucksäcke, Decken halten uns warm. Der Matekasten am Boden hat ungefähr Außentemperatur, ist also mindestens so kalt wie mein rechter Fuß, den ich seit Stunden nicht ganz unter die zwei Decken bekomme. Neben mir, und wenn ich den Kopf zurücklehne: Gitarrenkoffer.
Draußen ist es noch hell, schon wieder hell, immer noch. Gestern um diese Zeit, auf dem Weg von Duisburg nach Göttingen, da erreicht mich eine SMS, in der steht: "Das wäre schön. So im Bus. Der Fahrtwind draußen, die kühle Luft drinnen." Tour-Romantik. Die Luft ist nicht kühl, sie ist kalt. Und wir: seit vier Stunden unterwegs, Schlafen ist nicht, lesen ist nicht, dafür ist alles zu verschwommen. Ich bin auf Durchzug geschaltet, heute, am dritten Tag der Minitour, erneut mit den fantastischen Telemark. Ich will spielen, ich will Bier trinken und irgendwann vor Morgengrauen auf eine Matratze fallen, in meinen stinkenden Schlafsack kriechen, zu betrunken sein, um irgendjemandes Schnarchen wahrnehmen zu müssen, aufgeweckt werden, weitermachen. Alles, nur nicht im Bus fahren. Das Warten. Und die Frage: Was denken wir uns da nur immer? Sieben Stunden im Bus für eine halbe Stunde Musik.

Die drei Tage Tour, das war --wie vieles andere gerade-- immer wieder geprägt von Entscheidungen, Neubewertungen. Schon Oberüberaufklärer Immanuel Kant ging davon aus, dass das Weltall voller Gegensätze ist, dass man wahnsinnig werden muss, wenn man nicht hie und da Kongruenzen fände. Das ewige Suchen, das Anstrengende. Vielleicht ein Grund für die Sprachlosigkeit, die sich auch in diesem Blog seit Oktober breitgemacht hat, die mir immer weniger die Freude gibt, mit anderen Menschen wirklich zu reden, und nicht nur Kontakt aufrechtzuerhalten, auch wenn zu mehr gerade keine Zeit ist.

Einen Tag vor der Tour steht auf Jessica Hoppers Blog ein Zitat aus dem Essay "On Paul Ickovic's Photographs" von David Mamet:
"I would like to live a life free of constant self-examination--a life which may be ruled by the processes of guilt, remorse, hope and anxiety, but one in which thoses processes themselves are not foremost in the mind.
I would like like to belong to a world dedicated to creating, preserving, achieving or simply getting by. But the world of the outsider, in which I have chosen to live, and in which I have trained myself to live, is based on none of those things. It is based on observation."

Im Bus sitzen die Observatoren. Und einen Tag nach alle dem, genau heute, wird es problematisch, mehr als Eindrücke wiederzugeben, mehr als ein gestreutes "Danke" und ein paar mehr denunzierende "Fuck you"'s auszugeben, weil die Übertragung so schwierig ist. Im Bus sitzt du, du bist ein Seismograph, die Reifen tasten die Straße ab wie die Nadel eine Platte. mit dem ruhigen Zehnmeilenblick nimmst du's auf, saugst es rein, wirst zum Verstärker, später am Abend, später, nachdem alles vorbei ist.
In dem Moment, in dem wir die Bühne betreten, zeigt sich von selbst, wie alles ist, wir treten aus der Selbst-Betrachtung heraus und werden zum Objekt für alle anderen. Spielen wir schlecht, ist klar: Da ist noch mehr schlecht, als nur wir und die Gesangsanlage.

In Köln spielen wir donnerstags ein schrecklich steifes, unentspanntes und zeitweise auch ungestimmtes Set. Ich stehe auf einer kleinen Puppenbühne neben Mano, Nils und Carsten stehen vor der Bühne. Wir haben fast keinen Augenkontakt, weil wir in zwei Segmenten aufgereiht sind. Die Verstäkerwand hinter mir raubt mir das Gehör, aber die Gesangsanlage ist ja sowieso mindestens so scheiße wie der Kaffee im Backstageraum und das fehlende Nachtlager in Köln.
Immerhin, es kommen 40 Gäste, darunter viele Freunde. Elena, ohne Nikita, dafür lerne ich Michaels tolle Freundin Anna kennen, trinke leckeres Gaffel Kölsch und, of course: kommt es zu einem Wiedersehen mit Telemark. Und das standesgemäß. Kurz, nachdem wir nach unserer siebenstündigen Anreise erst einmal vom freundlich-gelangweilten Veranstalter zum Pizzaessen geschickt werden, schlagen wir wieder im Tsunami Club auf, und Björn, Bock, Walla, Max und seine Freundin Sabine sitzen wie Raben auf einer Stange und rauchen Zigaretten, was das Zeug hält. Mein Entschluß, endlich das Rauchen aufzugeben, weil ja jetzt in diesem ganzen schrecklichen Obrigkeitsland Rauchverbot herrrrrrrscht, verflüchtigt sich wenige Stunden später in einer blauen Wolke.
Wir sind angespannt bei Bühnenantritt, fühlen uns wie bestellt und nicht abgeholt, trotzdem scheint das Publikum mitzugehen, nun ja, zumindest gehen sie nicht weg. Bei Telemark bewegt es sich sogar, auch wenn die, genau wie wir, eher zurückhaltend aufspielen.
Nach dem Auftritt noch kurzes Plauschen mit den Angehörigen, Abrechnung, satte 40 Oisen pro Band - da weiß man wieder, wofür das alles: Für die Gema nämlich. Müsste der Club keine Gebühren an diese Musiknazis zahlen, wären wir wenigstens auf unsere Benzinkosten gekommen. Ich beschließe für mich, zukünftig Verträge für die Konzerte vorzufertigen, auf denen wir uns geschlossen weigern, versteckte Gema-Gebühren zahlen zu müssen, ohne selbst in diesem Scheißverein zu sein.

Selbiges teile ich auf der anschließenden Fahrt nach Duisburg unter Sympathiebekundungen Telemark mit. Glücklicherweise ist deren Maison nur ein wenig über eine Stunde von Köln entfernt und wir sitzen dort noch bis in den frühen Morgen, sinnieren über Max' und Sabines nächstes Projekt im Salon Alter Hammer und hören dabei zu viel Udo Lindenberg. Das nächste Salon-Buch wird unser aller liebstes Geschenk für alle Liebsten werden, das wissen wir jetzt schon, und Udos "Boogie-Woogie-Mädchen" wird mich durch die Soundchecks der kommenden zwei Tage retten. Als das Licht schon aus ist, legt Björn noch Udos "Cello" auf und verlässt mit den Worten "Das ist ein sehr großartiges, sehr trauriges Lied" das Zimmer.

Ich bin zu müde, gerade. Immer noch. Morgen wird mehr geschrieben, vielleicht auch kürzer.