Mittwoch, Januar 09, 2008

teil III: vision of repair.

03.01. - 06.01.08: here comes conclusion herzt telemark

Stau. Eisregen. Normaler Regen. Stau. Schneeregen. Gute Pommes mit schlechter Pommessauce an der Autobahnraststätte. Fünfzig Anrufe aus Esslingen, von Max, von Jörg, wann wir kommen, in welcher Reihenfolge die Bands spielen, und überhaupt.
Ich glaube, wir schlagen gegen sieben oder halb acht auf, als letzte Band. Als erstes eine Zigarette, als zweites die Nachricht, dass ich im Vorfeld alles falsch verstanden habe und wir die Backline für alle anderen Bands stellen müssen. Das ist so ein Gefühl, das ist so anders, als über die Dummheit der anderen zu schimpfen, gegen die man nichts machen kann, gegen die man sich mit einem Gefühl der Überlegenheit bei gleichzeitiger Wehrlosigkeit zufrieden stemmt. Da kann man sich zurücklehnen und lachen. Nein. Das ist ein Gefühl, dass man selbst die große Volldrossel ist, die allen anderen Stress macht, über die sich alle zurecht aufregen. Ein unangenehmes Gefühl.

Zum Glück verfliegt das aber erstmal, weil Esslingen trotz allem Stress, der bei der Koordination von sechs Bands auftritt, auch sehr schnell sehr familiär wird. Wir haben hier in den letzten drei Jahren dreimal gespielt, Falte, Jörg und Alex gehören beinahe schon zur Band; zu allem Überfluß sind noch genug andere bekannte und lächelnde Gesichter anwesend: Urte und ihr Mann aus Berlin, Frank, der mit Proceed On... ebenfalls heute spielt, Oise, der bei Red Tape Parade dabei ist und sich tierisch freut, dass Mano bei uns Schlagzeug spielt, genau der Mano, den er das letzte Mal vor einer halben Ewigkeit als Singer/Songwriter gesehen und als Übernachtungsgast aufgenommen hatte. Jobst ist auch da, Mönster spielen ja heute abend auch, Jobst, den ich von Grund auf mag, auch wenn wir uns einfach nichts zu sagen haben. Viele andere Augenpaare, Haaransätze, Köpfe, die mir aus irgendwelchen Erinnerungen entgegendämmern, bei denen ich mich frage: Geht es dir gut? Hast du früher auch schon eine so laute Fassade gehabt? Eine Type betritt den Backstage, unüberhörbar, erzählt einen kurz-bündigen Quatsch, damit alle merken: er ist hier, setzt sich dann mitten rein, zwischen uns fünfzehn andere, und tut so, als würde er lesen.

Obwohl das Programm recht ausgewogen ist -schließlich spielt eigentlich keine Band lupenreinen Hardcore, und die die es tun, können trotzdem über den Brillenrand blicken- nun, auch entgegen guter Vorzeichen werde ich das Gefühl nicht los, fehl am Platz zu sein. Vielleicht liegt es daran, dass wir als letztes angekommen sind, vielleicht daran, dass sich in dem riesigen Backstage jede Band wie eine Reihe von Kriegern in einer Ecke separiert, jedenfalls kommt mir plötzlich diese Zeile aus einem Walter Schreifels-Interview, der dort erzählte, während einer Tour, auf der Quicksand jeden Abend mit Offspring und Guttermouth spielten, sie sich manchmal wie Pink Floyd fühlen. Der Sänger von Red Tape Parade, die nach uns spielen, wird mir dieses Gefühl bestätigen, als er von der Bühne herunter sagt, dass die Indiedisco jetzt vorbei wäre, jetzt gibts Punkrock, und dann stürmt er ins Publikum und reißt völlig übertrieben an den Leuten herum, wirkt wie die verbitterte, betrunkene Version von Iorek Byrnison. Ich weiß, das ist gemein, aber Hardcore ist kein Kindergarten und so sehr mir das Red Tape Parade-Demo gefällt, so wenig verstehe ich, wie die von der Band extrem promotete Pro-Gay-Attitüde mit so einem Bollo-Getue zusammenpassen will. Wir sind schließlich auch gegen Homophobie, aber müssen das niemandem ins Gesicht schreien. Und wenn ich das zum Ausdruck bringen will, dann spiele ich noch lieber in Strapsen, als einen auf maskulines Monster zu machen. Aber vielleicht habe ich es auch nur einfach nicht verstanden, ich habe auch nicht nachgefragt.

Das Anderssein traf sich auch am Merchandise-Stand, an dem jede Menge Bands jede Menge Shirts und Platten und Zeug hängenliegen hatten. Telemark haben diesmal den Merchkoffer gar nicht aus dem Auto geholt, Mano zieht als erstes seine Mütze vom Kopf, schneidet einen Here Comes Conclusion-Aufkleber aus, klebt ihn drauf, hängt die Mütze an die Wand und sagt: "So, fertig. Unser Merchandise."

Damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Das war ein fantastischer Abend. Nicht zuletzt, weil ich beim Spielen wegen zu wenig und zu viel von allem so angepisst war, dass ich mir selbst auf den Kopf gespuckt habe und beinah vor Freude geschrien hätte, als Nils bei einem Song so hart auf den Bühnenboden stampfte, dass es durch Mark und Bein ging, Carsten und ich uns im selben Moment ansahen und klar war: gerade ist alles in Ordnung.
Nicht nur deswegen.
Auch die Bands waren toll. Ghostchant aus München fand ich sehr sympathisch und energiegeladen, auch wenn die Musik nicht ganz meine Tasse Screamo war: Ich habe selten eine Band gesehen, die so viel gelächelt hat und dabei so tight war. Die hatten einfach richtig Bock zu spielen. Proceed On... hab ich zum ersten Mal seit ganz langer Zeit wieder gesehen, und die werden immer immer besser, auch wenn Frank krank war; langsam sind sie da angekommen, wo sie eigentlich nur noch alles richtigmachen. Mönster fand ich dieses Mal eher durchschnittlich, recht routiniert heruntergerotzt, ein Shirt hab ich mir trotzdem gekauft. Telemark waren selbstverständlich auch eine Superlative für sich.

Trotzdem war zu vieles an dem Abend mit zu vielen logischen Widerhaken versehen.

Warum müssen Hardcore-Bands immer in diesen Uniformen aus den richtigen Tattoos, den richtigen Shirts und dem ironiefreien Sound auftreten? Ich mag ja Crustpunk, aber wenn man schon ein Run DMC-Shirt trägt, warum dann nicht auch offen mit solchen Einflüssen spielen?
Warum meinen manche Menschen, immer noch von solchen Konzerten leben zu müssen? Es waren 80 Zahlende da, an diesem Abend. Da war klar, dass keine Band dabei gut wegkommt, genauso wenig wie die Veranstalter. Trotzdem muss eine Band auf fast doppelt so viel Geld als die anderen Bands bestehen, weil einer von ihnen gerade von der Band leben muss. Tolles Argument. Das stell ich mir verdammt schwierig vor, das ist fast so absurd, als würde ich dafür bezahlt werden wollen, nachts Wände zu besprühen.
Immer reden alle davon, dass Religion oder Sexismus nichts in linker Kultur verloren hätten; aber wie absurd ist es denn, von so kompromissfreier Musik leben zu wollen? Wenn es hier mal ganz ehrlich zugehen würde, dann ist jeder doch eigentlich froh, wenn wenigstens die Kostendeckung funktioniert, schließlich ist niemand von uns Dieter Bohlen, und ich für meinen Teil bin auch sehr glücklich darüber.
Und es wird immer knapper mit allem; wenn es einen Grundtenor von jedem Vernstalter, von jeder Band in diesen Tagen gab, dann den, dass es eher weniger als mehr Besucher werden; warum also nicht alle ein klein bisschen mehr zusammenrücken, und die Ellbögen den Stadienrockbands mit Schulterpolstern in den Blazern überlassen?

Ach, eigentlich will ich das alles gar nicht schreiben; es war ein toller Abend, ein gutes Ende für drei Tage mit Telemark. Und ich habe mir schließlich jede andere Band fast komplett angesehen, das mache ich auch nicht oft - und will gar nicht wissen, wie unfreundlich wir selbst rübergekommen sind, in unserer Ecke des Rings.

Das war es also fast; die Nacht über noch einem eindrucksvollen Schnarchkonzert des Telemark-Chors gelauscht (Rauchen verstopfen Nase), am liebsten hätte ich Nille neben mir gelöffelt, weil er so unmöglich ruhig war und da so klein und unbeweglich unter seiner Decke lag. Sonntagmorgen und -mittag noch stundenlang mit Alex, Falte, Jörg über die großen und kleinen Probleme unserer Leben gefachsimpelt. Der beste Vorschlag: als Veranstalter einfach mal einen Zettel aushängen, wo die Kosten bei so einem Konzertabend hängen; vielleicht kann man so den Gästen begreiflich machen, dass acht Euro für sechs Bands kein Wucher ist.
Kurz vor dieser zündenden Idee sind Telemark gen Duisburg gefahren. Klar gabs ein Abschiedsfoto.
v. l. n. r.: Björn, Bock, Walla, Casi, Mano, Max, Nils, unbekannter Beobachter.

Und was bleibt? Was war die Ausgangsfrage, vor zwei Tagen und zuvor? Wofür das alles...?!
Genau. Dafür. Nicht für die blöde halbe Stunde spielen oder die achthundert Stunden Fahrt, nicht für das bisschen rausgeschmissene Geld oder das Freibier. Doch, eigentlich auch für das alles. Vielmehr aber noch: Für das Gefühl, nicht alleine zu sein. Eine Vision mit anderen zu teilen, mit wenigen anderen: ein Leben führen, das konträr zu dem ganzen täglichen Quatsch läuft, und genau deswegen eigentlich gar nicht geht. Unmögliches zu tun.
Ich habe etwa Carsten sehr oft beobachtet, in diesen Tagen. Egal, neben wem er stand, hat er das Reden begonnen, genauso schnell hat man mit ihm geredet. Egal, wo er sich aufgehalten hat, war eine Atmosphäre von Freundschaft und von Nähe, da aht was geleuchtet. Auf der Rückfahrt von einem anderen Konzert hat er mal zu mir gemeint "Seppo, ich kann es nicht so recht ausdrücken, aber wir wissen alle, dass wir im Falschen leben, und dass man im Flaschen nichts richtig machen kann; man kann aber auch nichts falsch machen."

3 Comments:

Anonymous Anonym said...

hallo seppo
wir hatten ja schon kurzen email kontakt, jetzt gehe ich auf die angesprochenen punkte ein bischen ausführlicher ein.

unsere pro gay attitüde scheint dir übertrieben zu sein. bitte vergiss aber nicht das RED TAPE PARADE normalerweise nicht in einem kontext von bands wie telemark oder euch stattfindet. sondern wir uns eher in- wie soll ich sagen - der "old school hardcore" sub sub kultur bewegen.
du solltest wissen das diese leute nicht von team dresch oder peaches sondern meist eher von bands wie madball oder terror sozialisiert wurden.
wie oft wir mit dem tshirt angeeckt sind weiss ich nicht mehr. ich kann mich aber an jede einzelne mail, an jedes schulterklopfen und jeden positiven kommentar erinnern den wir bekommen haben weil "endlich jemand das thema anspricht".

Für dich und mich und vielleicht alle konzertgänger im k4 scheint klar zu sein das homophobie scheisse ist. aber ich weiss das wir zB einem 21 jährigen süddeutschen im bold tshirt (würdest du ihn sehen wäre er für dich evtl. ein bollo,haha) der sich vor kurzem geoutet hat sehr aus der seele gesprochen haben.
Und wenn sich irgendwann mal jemand an uns erinnert dann hoffentlich wg dieser plakativen aussage.

Zu wauz "machohaftem" verhalten.
Wie gesagt war ich an dem abend sehr mit mir selbst beschäftigt.
Er viel halt wie immer viel in den leuten rum. aber machohafter wie einen germs sänger fand ich ihn jetzt auch nicht.
Eine freundin von uns (und bezeichnender weise die einzige weibliche musikerinn an dem abend!!!) meinte jedoch es ging voll in ordnung und das er der einzige an dem abend war der sich wirklich bemüht hat mit dem publikum in aktion zu treten.
Über die form kann man dann aber wieder geteilter meinung sein,haha.

Und strapse sollte man nur tragen wenn man da bock drauf hat.
Einen song gegen homophobie kann man auch in tarnhosen und warzone shirt spielen und ihn trotzdem ernst meinen.
Nur weil ich kein sexistisches arschloch sein will muss ich nicht bewusst mit geschlechter klischees spielen bzw. kleider tragen.

Sehr gut gefällt mir dein abschnitt übers "von der band leben wollen".
Wahre worte.

So, hoffe wir spielen mal wieder zusammen.
Denn euch und dem mano beim spielen zuzuschauen war ein reines vergnügen.
Auch wenn die Indie disco irgendwann vorbei sein muss,haha.

gruss

oise

6:47 AM  
Anonymous Anonym said...

hallo seppo!

du hast da was verdreht. ich habe nicht gesagt, dass die indie-disco jetzt vorbei wäre, sondern "steht nicht so rum, das ist hier keine indie-disco", was vielleicht nicht viel intelligenter ist, aber dann doch in deinem zusammenhang, ne ganz andere bedeutung bekommt. ich hab mich mit der ansage auch keinenfalls auf euch bezogen, da ich gestehen muss, dass ich keinen einzigen song von euch gesehen/gehört habe, weil ich mich draußen mit freunden unterhalten habe.
was ich sehr schade finde, ist, dass du nicht einfach nach unserer show zu mir gekommen bist und mir gesagt hast, dass du mein verhalten nicht ok findest, sondern dich jetzt nur hier im internet darüber auslässt. oder warum nicht auch schon während der show ? warum nicht den mund direkt aufmachen, wenn einem etwas nicht passt? bitte versteh mich nicht falsch, das ist jetzt kein maskulines "sags mir halt ins gesicht"-getue. ich finde nur, das würde deinem anliegen viel mehr dienen, als jetzt hier das auf deinem blog. und außerdem hätte es mir vielleicht die möglichkeit gegeben, dir zu zeigen, dass mir nichts ferner liegt als irgendwelches macho-bollo-gehabe, auch wenn mein verhalten an dem abend wohl einen anderen eindruck auf dich gemacht hat.

gruß

wauz

p.s.: super eisbär.

10:46 AM  
Anonymous Anonym said...

Wauz ein maskulines Monster? Ahh, Da wirds mir doch gleich warm im Schambereich...
Eine Bitte an dich: wenn du es wiedereinmal nicht lassen kannst deinen hetero Romantizismus aus den Tiefen deiner kurz gedachten PC Welt auf die Menschheit los zu lassen, frag doch ersmtal einen Schwulen oder eine Lesbe, was er oder Sie von deiner "lieber Strapse tragen Idee" so hält.
Nein echt klasse wie du es schaffst, Homosexualität in ihrer ganzen Bandbreite auf das Tragen von Strapsen klein zu dividieren!
Warum sind da nicht schon andere drauf gekommen?
Und dass du niemandem eure ProGay Haltung ins Gesicht schreien willst ist auch wirklich sehr höflich und zuvorkommend, muss ich schon sagen!
Wenn Hardcore wirklich kein Kindergarten sein soll, wie du schreibst, dann führ dich nicht als (Klein-)Gärtner auf!
No homosexual surrender!

- Cosy

6:21 PM  

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