Freitag, August 11, 2006

landmarks to postmarks.

ich bin zwar schon wieder zurück in nbg, trotzdem hier noch eindrücke aus meiner letzten woche in island. und...fotos. danach.

IF YOU LIVE OUT OF NOTHING ANYTHING SOUNDS GREAT.

campingplatz reykjavik. diese dinger sehen immer gleich aus, überall, egal in welcher dezennie. habe mir hier heute einen off-day genommen. gerade ist einer dieser fahrrad-zombies vorbeigefahren und hat einen irre-komischen lacher beim blick auf den free&leftover-stuff losgelassen. diese untoten, die irgendwann für unsere kultur aufhören zu leben, weil ein grossteil ihres medialen wissens, über welches sich unser nach-vorne-leben manchmal definiert, an einem bestimmten punkt aufgehoert hat. die mit dem fahrrad dem wetter und dem geist folgen mit dem sie tanzen, namen- und stimmlos. ich war in den letzten tagen oft dabei, mich selbst von diesem punkt aus zu beobachten. meine dämonen zu exorzieren und tanzen zu lassen. man sieht sich tagelang nicht im spiegel, das bild von einem selbst verwischt. die musik geht aus, batterien leer, nur noch der kopf; endlich verliere ich den ernsten und strengen blick auf alles was ich tue und gewinne den abstand zu mir, die nötige distanz, um die ich jahrelang gerudert habe. seit gestern esse ich am notbrot, einem laib brot, den ich seit einer woche durch die gegend trage und der sich, wie ich auch, weigert kaputt zu gehen. all das äußere verliert an breitenwirkung, man fühlt sich selbst auf eine bestimmte weise und richtung näher, füllt sich neu. einst abwegige gedanken scheinen kurz einem universalen sinn zu entsprechen: i am downright amazed at what i can destroy with just a stone, und auch jetzt läuft mir noch ein schauer über den rücken, wenn ich daran denke: gestern, bei dem ewigen warten auf ein auto, warf ich einen stein von einer straßenseite auf die andere und war mir darüber im klaren, dass ich es in mir trage, dass ich den stein ebenso nach einem vorbeifahrenden auto werfen könnte. if you live out of nothing anything sounds great.

URBAN BUSHMAN./LESS LIKE A DEMON MORE LIKE A HUNGOVER ANGEL.

ein mythos, das ist nach adorno und horkheimer ein mittel, um eine brücke über einen erklärungsnotstand zu bauen, um ein loch in der realität zu stopfen. die "hidden people" in island sind nicht nur da um zu erklären, wie elfen-trutzburgen oder aufgetürmte steinhaufen entstehen, sie sind ebenfalls eine allegorie des versteckten in uns: einer seele, whatever; das, was übrigbleibt, wenn du deinen körper vergisst, weil du dich in ein leben einlernst, in dem er nutzlos ist. notbrot ist gut, weil es satt macht, nicht weil es nicht schmeckt. wie du aussiehst ist nicht, was dich ausmacht,weil du auch ohne dein äußeres dein inneres kommunizieren kannst, dazu braucht es nur eine stimme. irgendwie kommt es mir gerade so vor, als hätte ich mich hier in der einöde das erste mal wieder sprechen hören, distanzlos. die gegensätze verschwinden. wo ich noch vor einigen tagen lamentiert habe, wie schlimm es ist, dazu verdammt zu sein, frei zu sein (jean-paul sartre), weil man mit der wahl auch immer den widerspruch zu tragen hat, so spielt genau das momentan keine rolle mehr. die ambiguität, die zB ingeborg bachmann, an die ich hier oft denke, in ihrem roman "malina" auf die spitze treibt**, löst sich auf. die angst vor dem schrecklichen makel an mir oder an der welt verschwindet irgendwo zwischen basaltfeldern und heissen spalten, ohne dass ich dafür einen erklärungsbedarf verspüren würde.

VON LETZTEN DINGEN.

donnerstag bin ich am frühen nachmittag vom campingplatz gegangen, regen und langeweile. habe mich dann mit sylvia, einer freundin von elena craftista (www.craftista.org) in verbindung gesetzt, die mir für eine nacht einen schlafplatz geben wollte. eine stunde durch die stadt gelaufen, angekommen, auf anhieb prima verstanden, nicht nur, weil wir beide veranstalter sind (sie im gleis22/www.gleis22.de), sondern auch, weil da enorm viel common ground da ist. lange über die szene in island und ihre akteure gequatscht. hier ist alles so frisch, es gibt eine einzige screamo-band auf der ganzen insel, hiphop aus reykjavik fehlt einfach die street cred, alles funktioniert nur in extremen; extrem langsam, extrem schnell, überspannt oder auf den entscheidenden punkt reduziert, immer aber auch extrem spannend. gegen abend ein wenig fernsehen geguckt. es gibt auf island quasi keinen kompletten sender in landessprache, nur programme, die sich auf amerikanische comedy- und reality tv-serien spezialisiert haben. ich mache endlich bekanntschaft mit "trailer park", einer vielgerühmten reality soap aus einem amerikansichen trailerpark-ghetto. und wie schon bei birkir, so baue ich auch hier meine gefühle zu "rockstar supernova" aus, einer castingshow, in der ein rocksänger gecastet wird, der dann mit gilby clarke, jason newsted (achtung: abstellgleis!) und...achtung...: tommy lee auf tour gehen wird. die isländer lieben das, weil einer von ihnen, magni, den natürlich auch jeder über zwei ecken kennt, mit dabei ist. übrigens bin ich ständig versucht, anstelle von "isländern" von "isen" zu sprechen, es sagt ja auch schließlich keiner, dass ich deutschländer bin. zum glück. samstag nachmittag. gay pride parade in reykjavik. viele bunte wagen und menschen, alles sehr warm und schön, aber die akzeptanz für abweichungen von der normsexualität ist in island noch nicht allzu groß: letztes jahr nahm sich die berühmteste drag queen der insel das leben, in ihrem abschiedsbrief schrieb sie, dass ein solches leben in diesem land einfach unmöglich ist. dafür steigen jedes jahr an diesem großen partywochenende, das während meines akureyri-aufenthaltes war, die vergewaltigungsraten ins unglaubliche. das bewusstsein und die sensibilität dafür, dass eine betrunkene frau nicht per se selbst für eine solche tat verantwortlich ist, muss hier auch erst geschaffen werden. nicht verwunderlich in einem land, dessen hauptstadt die größe fürths hat. das hier ist ein großes dorf, mit einem großen bedürfnis nach materialismus (ein billiges bier kostet sieben euro), einer großen selbstkontrolle der bürger durch die bürger (schlafende kinder in kinderwägen stehen einfach vor der haustür), und eben auch einer ziemlichen doppelmoral, die augen kann man ja bekanntlich in dörfern auch leichter schließen, probleme totschweigen. auch ein bisschen nachtfieber habe ich mitbekommen. freitag abend, 01.00h ortszeit. ich betrete die kneipe von björk, wilde menschen tanzen zur instrumentalversion von doctor albans "sing hallelujah" und feiern, als würde es kein morgen geben. malle auf artsy fartsy. oder so, als würden um 08.00h morgens nach einer nacht bucovina club in der ganzen stadt immer noch alle stehen können. bizarr und oftmals zu direkt für meinen geschmack. um es mit den worten hildegard knefs zu sagen: aber schön war es doch. sonntag, letzter tag. ich sitze immer noch in sylvies wg und bin dankbar für die wunderschöne zeit dort. neben mir wohnt auch noch ein weiterer deutscher mit ekelrotz-rastas dort, den sylvies mitbewohner tryggvy auf der straße aufgelesen hat und den niemand so recht mag, was ihm jedoch niemand so recht kommuniziert. außerdem ist sylvies fünfzehnjähriger bruder thomas noch auf besuch da. zu dritt (ohne den rotzrasta) starten wir zu meiner letzten tour: geysir, gullfoss und co. ich erlebe noch einmal die wild-rauhe schönheit eines landes zwischen tradition und postmoderne, stille und schrei, unendlicher weite und überwältigender nähe, bevor ich morgens um 07.00h in meinen flieger steige, um mich in frankfurt von evi abholen zu lassen. am geysir begegnen mir noch einmal echte deutschländer: eine sächsische kleinfamilie kommt, das kleine kind plärrt, wann endlich das feuer losgeht, der vater wirft eine leere plastikflasche in den geysir. und auch wenn ich höchstens nochmal mit einem auto bewaffnet und eher im winter einen fuß auf isländisch moos setzen werde, es war eine reise wert. die letzten dinge, die noch fehlen, sind die fotos, für die dieser blog ja eigentlich gedacht war. die werde ich jetzt editieren, hoffentlich in ein paar stunden hier hochladen. danke für die aufmerksamkeit.

**"malina", der männliche teil der weiblichen ich-erzählerin, ist eine umstellung des wortes "animal"; in einer von männlichen "tieren" dominierten welt kann sie selbst, die das schreiben als "schmerzlichste aller todesarten" bezeichnet, nichts mehr halten, letztlich verschwindet sie in einer ritze in der wand.