Sonntag, Februar 07, 2010

give people what they want in lethal doses.

sagt nicht jemand vor kurzem zu mir, dass es schon ein wenig schade sei, dass ich diesen verrucht-aufregenden job des lehrers an den nagel hänge, weil ich mich jetzt gar nicht mehr ständig in hasstiraden und borderline-esquen gefühlswallungen suhlen kann...nun denn, auf zu neuen ufern, denn zumindest hierbei bin ich urdeutsch: einem selbst geht es immer schlechter als allen anderen. es erfolgt die kehrtwende auf dem punkt, ich laufe vorwärts ins verderben und gebe die entwarnung. spätestens heute weiß ich, worauf ich mich eingelassen habe:

denn diese woche war ich auf dem arbeitsamt. nicht zum ersten mal, aber es war das erste mal, bei dem ich eine verbindliche und vernünftige beratung bekommen habe.

das letzte mal zuvor wurde mir mitgeteilt, ich könnte mich ja beruflich umorientieren, pädagogen werden auch gerne im personalmanagement genommen. auf die frage hin, was denn personalmanagement sei, kam die recht naheliegende antwort: „da sind sie mit der verwaltung des personals betraut.“ schallendes gelächter, danke. hoffentlich werde ich nie 40 und trage dann zum schnauzer eine lustige brille aus rotem acetat.

seit dem dieswöchigen besuch bin ich jedoch schlauer, und ich weiß jetzt genau, wie sehr mich das system liebt. denn für den fall, dass ich länger – oder überhaupt – arbeitslos sein sollte, bekomme ich: nichts. vom staat oder irgendwem sonst. kein arbeitslosengeld, keine beihilfen. natürlich, hartz IV könnte ich beantragen, aber das bedeutet: umzug in eine "angemessenere" wohnumgebung und offenlegung aller spärlichen ersparnisse.

ich bin jetzt also systematisiert, ich bekam drei kästchen, die ich ankreuzen konnte, damit war alles nötige gesagt und getan.

andererseits: was für ein gefühl. nur ich und das weite himmelszelt. was hält mich denn auf? kein gott, kein staat, keine arbeit, kein geld: mein zuhause ist die welt. jeans team und immer wieder...und trotzdem beschleicht es mich, ein altbekanntes gefühl von unwohlsein, von vollem magen und leerem bauch. ein bisschen so, wie an einem sommerabend in klamotten herumzusitzen, die vom tau angefeuchtet sind. nein, die eigentlich schon zu klamm sind.


die dame auf dem arbeitslosenamt war an sich jedoch recht freundlich und hatte einen guten blick: zwar musste sie laut kichern, als ich meinte, ich bräuchte eben nicht viel geld zum glücklich sein, aber schnell hat sie mir vorgeschlagen: "wir könnten doch hier mal ankreuzen, dass sie was mit medien machen wollen. sie sind ja eher so ein künstlerischer typ." ja, was mit medien: zeitungsleser zum beispiel. wie daneben ist es eigentlich, dass man sich nicht einfach mal eine auszeit nehmen kann? und dass ich jetzt beinahe "nehmen darf" sagen wollte. das war mein wilhelminisches über-ich. was ich kann, darfst du entscheiden, kaiser.

ehrlich: es gibt einen murmeltiertag, einen internationalen jogginghosentag. faulheit ritualisiert. und von so superbeispielen wie dem wiesel oder der hauskatze abgesehen, hält eigentlich jedes vernünftige tier der nördlichen hemisphäre winterschlaf. nur ich darf nicht. weil es hier vor kästchenankreuzern nur so wimmelt, die einem keine ruhe lassen wollen. kästchenanstreicher mit hang zur pädagogik. aber den haben ja heute wahrscheinlich sogar fassadenmaler. alles ist pädagogisiert.

am ende unseres durchaus lebhaften und anregenden gesprächs sollte ich daher eine art vereinbarung unterschreiben, einen institutionalisierten händeschwur, dass ich bis zum ersten märz ergebnisse vorzuweisen habe. inklusive einer tabelle, in der ich eintragen darf, wo ich mich beworben habe, und mit welchem ergebnis. danke. zum nächsten termin werde ich gleich in windeln erscheinen. das erscheint weniger demütigend.

meine erste überlegung war daher, ein aussagekräftiges bewerbungsschreiben an alle bäckereien im näheren umkreis zu senden mit der freundlichen anfrage, ob sie denn nutzen von einem jungen, engagierten deutschlehrer hätten. den brötchen hätt' ich was beigebracht. doch ich höre stirnrunzeln: „warum haste denn nicht früher...?“ weil halt, wie eine schülerin neulich zu mir meinte. weil ich eben nicht wollte und immer noch nicht will.
oh, how i miss my teenage angst. wie einfach war es da noch, sich mit mitte 20 der evidenz der eigenen transzendentalen obdachlosigkeit zu vergewissern, ein bisschen quarterlifecrisis zu schieben und sich exzentrische eigenarten anzugewöhnen, die irgendwie cool aussahen, und es nie wirklich waren.

immerhin wäre das jedoch ein ansatzpunkt gegen das dämonische kästchenausfüllen. schließlich gibt es so vieles, das ich künftig nicht vermissen werde: ständig kinder bewerten, ob sie jetzt etwas gesellschaftlich wichtiges von sich geben oder nicht. kindern den papiermülleimer neben den sitzplatz stellen, weil sie sich gerade so fühlen, als könnten sie eventuell gleich kotzen. klassenzimmerpolizei spielen: wer hat die mandarinenschalen da hinten im eck verteilt? nach einem halben jahr immer noch unsicher sein, wie genau das stille mädchen da hinten im eck eigentlich heißt. lisa, lia oder lina? nein, dieses gefühl ist unbezahlbar.

du nennst es arbeitslosigkeit, ich nenne es „neue freiheit“. und um diese zu feiern, werde ich mir kommende woche die verfilmung der bushido-biographie, „zeiten ändern dich“, ansehen und mich tot lachen, oder, um ein sehr lautmalerisches fränkisches wort zu benutzen: um mich tot zu hebbern. die zeiten ändern sich, ich mich weniger.